Früher avantgardistisch, heute Kult

Von Johanna Tüntsch SÜLZ / KLETTENBERG. Bei Katholiken und Protestanten aus Sülz und Klettenberg sind sie eine Institution: die Beatmessen in der Johanneskirche. Am vergangenen Sonntag kamen wieder mehrere hundert Besucher zu dem außergewöhnlichen Gottesdienst, der eine Brücke zwischen der Gegenwart und einer längst vergangenen Zeit schlägt (siehe unten). Wie es der Gemeinde gelungen ist, das Phänomen Beatmesse über 40 Jahre hinweg wach zu halten, erklärt Pfarrer Ivo Masanek: „Die Beatmesse erfindet sich immer wieder neu. Die Themen sind aktuell und die Prediger und Predigerinnen haben was zu sagen.“

Dieses Mal war das Motto: „Baut Archen! Die Welt braucht viele Noahs.“ Dazu sprach Bärbel Wartenberg-Potter, Bischöfin im Ruhestand, über die Dringlichkeit einer grünen Reformation. „Mit ein paar grünen Gebeten ist es heute nicht mehr getan“, mahnte sie: Die Welt brauche handelnde Menschen, die den Mut hätten, für eine außerordentliche Wende zu stehen – wie Greta Thunberg oder Politiker, die für autofreie Städte einträten.

Stammbesucher freuten sich sehr darüber, dass der Mainzer Autor und Dominikanerpater Diethard Zils (84) nach langer Krankheit nun wieder dabei sein konnte. Auch eine Sülzer Persönlichkeit, die über den Stadtteil hinaus bekannt ist, war zu Gast: Zeitungsverkäufer Walter Hoischen, der seit Jahren rund um den Auerbachplatz mannshohe Sonnenblumen aussät. Er füllte für den Gottesdienst über 500 Tütchen mit selbstgezogenen Sonnenblumenkernen ab und stiftete sie als Meditationsobjekt. Die Gemeinde dankte es ihm mit großem Applaus.

„Ich mag es, dass bei den Beatmessen nicht nur von der Kanzel herunter gepredigt, sondern die Gemeinde einbezogen wird“, erklärt Jürgen Penzel. Er engagiert sich als Gemeindemitglied bei den Vorbereitungen der Beatmesse. Dabei freut er sich besonders über den anhaltend hohen Zulauf der Veranstaltungen: „Wenn die Kirche voll ist, springt der Funke anders über.“ Auch die inhaltlichen Schwerpunkte treffen seinen Geschmack. „In der Vergangenheit ging es zum Beispiel um Umwelt und Verschwendung. Ökologische Themen sind mir wichtig“, sagt Jürgen Penzel, der durch seinen Sohn vor einigen Jahren auf die Beatmessen aufmerksam geworden ist.

Bis heute aktuell

Beatmessen sind geprägt von Popmusik, aufgelockerter Liturgie und zeitkritischen Themen. Sie entstanden in den 1970er Jahren als Ausdruck für einen jüngeren, ungezwungeneren Zugang zur Kirche. In Klettenberg führte sie damals Pfarrer Eberhard Viertel ein. Zu einer Institution wurden sie durch das Engagement seines Kollegen Uwe Seidel, der die Sülz-Klettenberger Beatmessen mit der Band „Ruhama“ zum Beispiel auf Kirchentagen über die Stadtgrenzen hinaus bekannt machte.
Im Laufe der Jahre haben viele Prominente bei den Beatmessen in der Johanneskirche gesprochen, darunter der Kabarettist Hanns Dieter Hüsch, die Wise-Guys-Mitglieder Daniel Dickopf und Edzard Hüneke und der Journalist Valentin Thurn, der mit seinem Film „Taste the Waste“ viel zur Diskussion über Lebensmittelverschwendung beigetragen hat.

Bildunterschrift:

Musikalisch wurde die Beatmesse in der vollbesetzten Johanneskirche begleitet von der Gruppe „Ruhama“. (Foto: Tüntsch)