Eine phantasievolle Gemeinschaft
Nach fast zwanzig Jahren in Sülz und Klettenberg unterhielt sich Pfarrer Jost Mazuch mit Johanna Tüntsch über die Bilanz, die er zieht.
Jost, gefragt nach deinem Lieblingsort in der Gemeinde hast du den Kirchsaal im Tersteegenhaus genannt. Warum?
Ich mag den Saal, weil seine Gestaltung mich während meiner ganzen Zeit hier begleitet hat. Als ich kam, standen hier noch Stuhlreihen und hinten der Altar. Es war ein Kirchsaal, wie man ihn in den 50er und 60er Jahren hatte. Das passte nicht mehr in die Zeit! Die Menschen wirkten bei dieser Anordnung im Saal verloren. Die Gemeinde wünschte sich eine Veränderung, und mir gefiel die Situation auch nicht: Ich stand da hinten so einsam an der Kanzel. Durch die zentrierte Anordnung ist eine ganz andere Art von Kirchraum entstanden. Heute funktioniert der Saal für zwanzig Besucher, aber auch für dreihundert.
Wie lange hat dich die Umgestaltung dieses zentralen Ortes beschäftigt?
Im Grunde die ganze Zeit über, in mehreren Schritten! Erst seit Kurzem sind auch die Lautsprecher so, wie sie sein sollen – und die Stühle!
Im Tersteegenhaus hat sich also einiges geändert. Und in Sülz und Klettenberg? Auch dort! Die Veränderungen sind ja deutlich am Mietspiegel zu sehen. Das
Viertel ist viel teurer geworden und viel enger. Die Bevölkerung ist stärker gentrifiziert, es sind heute mehr wohlhabende Menschen darunter als früher. Viele
kleine Geschäfte haben zugemacht. Auf der anderen Seite erlebe ich auch große Konstanz. Vieles ist auch hier wie auf dem Dorf: Es gibt Menschen, die hier geboren
wurden und jetzt mit ihren Kindern hier leben. Oder Enkel haben, die bald zurückkommen.
Was hat dir an deiner Arbeit hier gefallen?
In der Gemeinde gibt es ein unglaublich großes Engagement und viele Aktivitäten, die wir Pfarrer nicht erst in Gang bringen müssen. Ich erlebe eine große
Offenheit der Menschen füreinander. Dadurch wird vieles möglich. Wenn ich an die Jahre der Finanzknappheit denke, als wir eine Pfarrstelle eingespart haben:
Das haben wir auf die Dauer gut gemeinsam hingekriegt, weil die Bereitschaft zu phantasievollen Lösungen da war, zum Beispiel die Kindergartenpatenschaften.
Eine tolle Erfahrung war es für mich auch, dass das Presbyterium zum Kirchenasyl gesagt hat: Ja, das machen wir!
Stand es für dich eigentlich immer fest, dass du Pfarrer werden würdest?
Ich habe mich schon in meiner Jugend sehr für Theologie interessiert und mochte die Auseinandersetzung mit der Bibel. Den Journalismus fand ich aber auch
spannend; ich war ein Jahr lang für den WDR tätig. Dann habe ich mich aber doch für den Pfarrberuf entschieden, denn ich habe dort gute Erfahrungen gemacht. Als Pfarrer habe ich die Freiheit, die tiefen Dimensionen des Lebens anzusprechen – und das ist toll! Ich begegne Menschen an wichtigen Stationen ihres Weges, und sie haben das Vertrauen, mir aus ihrem Leben zu erzählen.
Die Haltung der Gesellschaft zur Kirche hat sich verändert. Wie erlebst du das persönlich?
Es ist eine allgemeine Entwicklung, dass die Fremdheit gegenüber der Kirche zunimmt. Leute treten aus der Kirche aus, ja. Aber viele nähern sich ihr auch wieder
an. Das gilt besonders für junge Familien, wenn Eltern sich fragen, was sie ihren Kindern vermitteln möchten.
Was wirst du vermissen?
Vermissen werde ich sicher den lebendigen Austausch mit so vielen Menschen über wichtige Themen; über die Bibel, das Leben und über politische Fragen.
Ich habe gerne hier gearbeitet und die Gemeinde liebgewonnen. Aber ich freue mich auch darauf, mehr Zeit für meine Familie zu haben: Damit war es in den
letzten vierzig Jahren nämlich manchmal recht eng.